Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser
Vor einigen Jahren referierte ich im Rahmen einer Vortragsreihe zu psychopathologischen Erscheinungsbildern zum Thema ‚Zwang‘. Eine Kernaussage war, dass der Mensch, der unter Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen leidet, im Grunde über eine ihn ängstigende Situation, der er sich bewusst oder unbewusst ausgeliefert fühlt, versucht Kontrolle zu erlangen. Maximale Kontrolle kann dann in verschiedenste zwanghafte Ausprägungen münden. Das Leben wird immer begrenzter. Aus unterschiedlichsten Gründen ist das Vertrauen des Betroffenen nicht mehr ausreichend intakt und muss wieder hergestellt werden.
‚Vertrauen‘, die Basis unseres Lebens und unserer Beziehungen.
‚Vertrauen‘ heißt soviel wie ‚fester Glaube an jmds. Zuverlässigkeit und Treue, Zuversicht‘. Das zugehörige Verb ‚trauen‘ vertieft diese Deutungen durch weitere Aspekte wie ‚keine Vorbehalte, kein Misstrauen haben, Glauben schenken‘ und lehnt sich an die Begriffe ‚treu‘ und ‚bauen‘ an.[1]
Sehr genau erinnere ich mich an zwei Beispiele, die ich an dieser Stelle während des Vortrages angeführt habe: „Wir vertrauen im Straßenverkehr permanent, dass das entgegenkommende Fahrzeug auf seiner Straßenseite bleibt. Ebenso vertrauen wir, dass die Nahrungsmittel, die wir verzehren frei von Gefahrenstoffen sind.“. Wir vertrauen permanent, ohne uns dessen bewusst zu sein. Nicht auszudenken, wenn wir das nicht täten…
Der kategorische Imperativ Immanuel Kants bringt es auf den Punkt:
„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Als Kinder haben wir das schon gelernt: „Was Du nicht willst das man dir tu‘, das füg‘ auch keinem anderen zu.“ Damit bleiben wir als Gesellschaft in unserem Zusammenleben entspannt. Wir vertrau(t)en einander.
Vertrau(t)en?
Die Themen in der psychologischen Beratung der letzten Jahren spiegeln überdeutlich den Grad des Vertrauens wider – beim Einzelnen, aber auch in der Gesellschaft.
„…ein unsichtbarer Krankheitserreger.“
„…Verknappung existentieller Ressourcen.“
„…Krieg.“
„…verschmutzte Grundnahrungsmittel.“
Vertrauen wurde und wird weiter erschüttert. Die Folge ist Angst und der (zwanghafte) Versuch diese zu reduzieren. Man versucht die Situationen in den Griff zu bekommen, zu kontrollieren. Und genau so kennen wir das bekannte Sprichwort: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Je weniger Vertrauen da ist, desto mehr Kontrolle braucht es.
Unser (Ur)Vertrauen muss wieder hergestellt werden.
Auf einer Wanderung fiel mir ein riesiger Baum auf (s. Foto). Dieser hatte sein gesamtes Wurzelwerk UM einen starken Felsen geschlungen. Das hat mich unglaublich beeindruckt! Dieses Foto begleitet mich seitdem.
Worum schlingen Sie Ihre Wurzeln? Was gibt Ihnen Halt?
Bei mir sind es meine Beziehungen. Mein Mann ist für mich ein verlässlicher „Fels in der Brandung“. Ebenso mein erwachsener Sohn sowie einige wenige Freunde. Meine Beziehung zu Jesus Christus ist in den letzten Jahren vom „nice to have“ zum „Fels der Hoffnung“ für mich geworden. Dieser Fels ist fest verankert. Ich umklammere ihn und fühle mich gehalten.
Ich wünsche uns allen Felsen, die uns in dieser Zeit Halt geben. Ebenso, dass wir für unsere Kunden, Mitarbeiter, für unsere Kinder und andere Personen, die uns vertrauen und die wir führen, zu Felsen werden – auf dass Vertrauen wieder wachse. (SR)
[1] Vgl. www.dwds.de/wb/Vertrauen